Eine flache Hand stoppt eine zur Faust geballte Hand.
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Unangemessenes bis bedrohliches Verhal­ten im öffentlichen Raum ist zwar kein neues Problem, aber die Fallzahlen nehmen zu. Die Aggressionen werden heftiger, Pro­vokationen häufen sich – die Zündschnur ist bei vielen kürzer geworden. Davon sind auch Versicherte der BG Verkehr betroffen, die zum Beispiel einen Bus steuern, Post zustellen, Ware ausliefern, Fahrgäste befördern oder den Abfall entsorgen. Niemand muss Gewalt im Arbeitsalltag einfach hinnehmen. Wie können sich Berufstätige schützen und wann sind die Führungskräfte gefordert zu unterstützen?

„Gewaltprävention ist Teil der Gefährdungs­beurteilung und damit Aufgabe eines Be­triebs“, betont Dr. Eva Winkler, Arbeitspsy­chologin bei der BG Verkehr. „Zunächst geht es um technische und bauliche Maßnahmen wie ausreichende Raumgrößen, Abstands­flächen oder Alarmsysteme. Darauf folgen die organisatorischen Veränderungen: Dazu gehören unter anderem Verhaltensstandards, ein Notfallplan, die Vermeidung von Alleinar­beit und ein gutes Beschwerdemanagement. Erst dann setzt man bei den Beschäftigten selbst an, zum Beispiel durch die Teilnahme an einem Deeskalationstraining oder mit re­gelmäßigen kollegialen Fallberatungen.“

Gesprächstechniken trainieren

Zum professionellen Kundenkontakt gehört die Fähigkeit, sich vor Verletzungen durch Worte oder Taten zu schützen. Wie man das macht, kann man lernen, zum Beispiel in dem Semi­nar der BG Verkehr „Umgang mit Aggressionen im Kundenkontakt – Betriebliche Präventionsansätze“. Das Prinzip der Deeskalation ist ein Bestandteil der Gewaltprävention. Mit dem bewussten „Herabsteigen“ (de-eskalieren, eine Treppe herabgehen) in einer angespann­ten Situation lässt sich oft eine bedrohliche Stimmung mindern oder auflösen. Außerdem laufen Gespräche meist konstruktiver, wenn jemand gelernt hat, aktiv zuzuhören und die Bedürfnisse der anderen wahrzunehmen. „Diese Techniken zur Deeskalation durch Kör­persprache und bewusste Kommunikation kann jeder lernen“, betont Dr. Winkler. „Sel­ten macht man sich bewusst, wie stark ein Gespräch oder ein Kontakt durch die eigenen Reaktionen geprägt wird.“

Gewalt wird subjektiv erlebt

Auseinandersetzungen beschäftigen Betrof­fene oft noch lange Zeit später. „Das Erle­ben von Aggressionen, egal ob verbal oder körperlich, können wir meist nicht durch un­sere alltäglichen Kompetenzen zur Stressbe­wältigung verarbeiten“, bestätigt Dr. Winkler. „Deshalb ist es wichtig, dass sich die Mitar­beitenden auf schwieriges Kundenverhalten vorbereiten. In brenzligen Situationen reagiert jeder anders. Vor allem das Gefühl von Hilf­losigkeit sollte möglichst nicht auftauchen. Dafür spielt die Vorbereitung unter professioneller Anleitung eine wichtige Rolle.“ Die Un­ternehmensleitung steht in der Pflicht, die Beschäftigten vor Gesundheitsgefahren zu schützen. „Kundenkontakte sind bei vielen unserer Versicherten ein wesentlicher Be­standteil der Arbeit. Das bringt nicht nur an­genehme Abwechslung in die Tätigkeit, son­dern birgt auch spezifische Risiken. Besteht Konfliktpotenzial, sind Präventionsmaßnah­men unverzichtbar“, betont Winkler. 

Verlässliche Unterstützung im Betrieb

Die Mitarbeitenden benötigen eine Anlaufstel­le im Unternehmen, um problematische Kon­takte zu melden und Beratung und Unterstüt­zung zu erhalten. Betroffene brauchen unter  Umständen sozialen Beistand, betriebliche psychologische Erstbetreuung oder in Extrem­fällen professionelle Traumatherapie. „Ein niederschwelliges Hilfsangebot nach einer Gewalterfahrung hilft bei der Verarbeitung“, ergänzt Dr. Winkler.

Unsere Gesellschaft ist in den vergangenen Jahrzehnten immer friedliebender geworden. Gewalt ist die Ausnahme, nicht die Regel. Aller­dings belegen die Daten der Kriminalstatistik und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversi­cherung eine Zunahme von Gewaltvorfällen. An diese „neue Normalität“ muss man sich nicht stillschweigend gewöhnen. Die Verantwortlichen im Betrieb sollten, abge­sehen von konkreten Schutzmaßnahmen, den problematischen Mangel an Wertschätzung und Respekt intern und auch extern thematisieren. Es kann zum Beispiel nach einer Beleidigung sehr wirksam sein, dass Führungskräfte oder Mitarbeitende aus dem Beschwerdemanage­ment die Kundschaft darauf ansprechen. Die Deutsche Post wandte sich nach wiederholten Vorfällen mit einem Brief an die Bevölkerung. Bei Meldungen an die Polizei kann diese mit vermehrter Präsenz in problematischen Stadt­teilen oder Buslinien reagieren.

Würde und Sicherheit erhalten

Die BG Verkehr bietet 2025 ein Seminar für Führungsverantwortliche und Fachkräfte für Arbeitssicherheit aus allen Branchen an: „Um­gang mit Aggressionen im Kundenkontakt – Betriebliche Präventionsansätze“ (Anmeldung siehe vorherige Seite). In diesem Seminar erhalten Sie einen Überblick über mögliche betriebliche Maßnahmen, um gewalttätige Vorfälle und deren Folgen zu minimieren. Sie lernen Eskalationsstufen und Deeskalations­techniken kennen und diskutieren Maßnah­men zur Verhältnis- und Verhaltensprävention. Ein Teilnehmer des Seminars im Septem­ber 2024 bestätigt: „Eine gute Mischung aus Theorie und Praxis. Ich habe hier viel gelernt und nehme einiges mit, das ich in unserem Betrieb umsetzen werde.“

Dorothee Pehlke
Redaktion SicherheitsProfi