
Die ISO-Norm 12604-2 ist keine bindende Vorgabe, sondern eine Empfehlung. „Die neuen Regeln sind strenger als der deutsche Arbeitsschutz, aber sie sind nicht verpflichtend“, erklärt Luisa Kölsch, Leiterin des Referats Ergonomie bei der BG Verkehr. „Es handelt sich um Best Practice, das die Arbeitsbedingungen verbessern soll.“ In Deutschland gelten weiterhin die bestehenden Gesetze und Vorschriften, wie etwa die Lastenhandhabungsverordnung.
So weist die neue Norm auch im Vorwort darauf hin, dass Abweichungen zulässig sind, wenn alternative Methoden ein gleichwertiges Maß an Arbeitssicherheit bieten. Ein wesentlicher Unterschied zu deutschen Arbeitsschutzstandards: Die Norm berücksichtigt keine Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Mitarbeitenden. Stattdessen bildet sie einen Durchschnittswert. „Die Leitmerkmalmethoden zur Beurteilung der Wahrscheinlichkeit der körperlichen Überbelastung hingegen sind genauer und differenzieren zwischen Männern und Frauen“, erklärt Kölsch.
Gepäckstücke über 23 Kilogramm sollen nach neuer ISO-Norm nur noch mit mechanischen Hilfsmitteln oder von mindestens zwei Personen gemeinsam bewegt werden.
Im Fokus der Norm stehen das Gewicht der Gepäckstücke und die Häufigkeit der Handhabung. Je höher die Taktung der Handhabungen ist, desto weniger Lasten sollten pro Schicht transportiert werden. So gilt es je nach konkreter Ausgestaltung des Arbeitsplatzes als akzeptabel, wenn die „kumulative Masse des pro Bediensteten in acht Stunden abgefertigten Gepäcks bis zu 10.000 Kilogramm bei kurzen Wegen (weniger als 20 Meter) oder 6.000 Kilogramm bei Wegen über 20 Meter“ beträgt. Gepäckstücke über 23 Kilogramm sollen nur noch mit mechanischen Hilfsmitteln oder von mindestens zwei Personen gemeinsam bewegt werden.
„Die neuen Regeln sind strenger als der deutsche Arbeitsschutz, aber sie sind nicht verpflichtend.“
Ergonomische Faktoren wie der Abstand zwischen Mitarbeitenden und Gepäck, Drehbewegungen von mehr als 90 Grad oder das Anheben über 55 Zentimeter reduzieren das maximal zulässige Gewicht. Hier fordert die Norm regelmäßige Messungen des Durchschnittsgewichts der Gepäckstücke, um die Arbeitslast zu überwachen. „Die Leitmerkmalmethode ist ein erprobtes Instrument zur Bewertung von Gefährdungen durch Lastenhandhabung“, erläutert Kölsch. Arbeitsabläufe sollten so gestaltet werden, dass Überlastungen vermieden werden.
Technische und organisatorische Maßnahmen
Die ISO-Norm empfiehlt, Mehrfachhandhabung von Gepäck zu vermeiden und die Häufigkeit der Lastenhandhabungen pro Arbeitsschicht niedrig zu halten. Technische Hilfsmittel wie Vakuumlifter, Hakengeräte und Unit Load Devices (ULD), wo es möglich ist, sowie organisatorische Maßnahmen, wie Jobrotationen, stellen Möglichkeiten dar, um die empfohlene Belastung nicht zu überschreiten.
Unternehmen sollten die Norm als Chance sehen, ihre Arbeitsbedingungen weiter zu optimieren. „Die ISO-Norm legt Zahlen fest, an denen Unternehmen sich orientieren können“, sagt Kölsch. „Doch wenn die Belastung zu hoch ist, müssen alle möglichen Maßnahmen geprüft und bestenfalls eine Kombination aus technischen, organisatorischen und personenbezogenen Maßnahmen umgesetzt werden.“
„Die ISO-Norm legt Zahlen fest, an denen Unternehmen sich orientieren können.“
Das Einhalten der deutschen Lastenhandhabungsverordnung bleibt verpflichtend. Um Beschäftigte vor schwer therapierbaren Gesundheitsschäden bei Verstößen zu schützen, fordert die BG Verkehr konsequente Einhaltung und wird diese auch durchsetzen. Die ISO-Norm liefert erstmals konkrete Werte, die vorher oft fehlten oder aufwendig zu ermitteln waren.
Dr. Marc Sgonina
Redaktion SicherheitsProfi