Visualisierung Chaos im Kopf
© Iryna Danyliuk - stock.adobe.com

Ein Trauma ist ein Erlebnis außerhalb der gewöhnlichen Erfahrungen“, erklärt Dr. Albrecht Schumacher, Leiter der Psycho­traumatologischen Ambulanz am BG Klinikum Hamburg. Die seelische Reaktion darauf sei zunächst ganz normal. Bei den meisten Men­schen helfen eigene Ressourcen und Selbst­heilungskräfte, um das Erlebte zu verarbeiten. Doch manchmal entwickelt sich aus der akuten Belastung mit der Zeit eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Typisch dafür sind Vermeidung bestimmter Auslöser, aber auch anhaltende Übererregung: Betroffene fühlen sich ständig unter Strom, sind gereizt, nervös, schreckhaft oder haben Konzentrationsproble­me, so Schumacher.

Auch bei Versicherten der BG Verkehr zeigen sich solche psychischen Reaktionen – vor al­lem in Branchen, in denen besonders belasten­de Situationen zur Arbeit gehören. Dazu zählen unter anderem der Güter- und Personenverkehr, das Taxigewerbe, Geld- und Werttransportun­ternehmen sowie Kurier- und Paketdienste. Die Auslöser reichen von Verkehrsunfällen über Übergriffe bis hin zu wiederholter Konfrontation mit aggressivem Verhalten.

Trauma-Lotsinnen und Trauma-Lotsen in der BG Verkehr

Damit betroffene Beschäftigte und ihre Führungskräfte rasch Hilfe finden, hat die BG Verkehr Sachbearbeitende besonders ge­schult und als sogenannte Trauma-Lotsinnen und Trauma-Lotsen in den Bezirksverwaltun­gen eingesetzt. Sie stehen den betroffenen Versicherten und Führungsverantwortlichen der Mitgliedsbetriebe als Ansprechpersonen zur Verfügung, geben Orientierung, beraten über geeignete Maßnahmen und vermitteln bei Bedarf passende Therapeutinnen oder Therapeuten.

Claudia Hora aus Dresden ist Trauma-Lotsin der ersten Stunde. „Viele Betroffene sind schon erleichtert, wenn sie über das Gesche­hene sprechen können – auch wenn keine Therapie nötig ist. Unser Angebot beginnt mit Zuhören und erster Unterstützung“, sagt sie. Oft sei das bereits ausreichend, um erste Spannungen zu lösen. Sollte dennoch weite­rer Bedarf bestehen, können die Lotsinnen und Lotsen kurzfristig fünf Termine bei einem Psychotherapeuten aus dem Netzwerk der gesetzlichen Unfallversicherung vermitteln – unbürokratisch und wohnortnah. Diese ers­ten Termine werden probatorische Sitzungen genannt und dienen der Erstbehandlung und der Klärung der Diagnose. Häufig genügt die­ses erste Angebot, um die psychische Stabi­lität wiederherzustellen.

Erweitert wird das Unterstützungsangebot der BG Verkehr seit Kurzem durch telefo­nische Vorsorgegespräche mit erfahrenen Therapeutinnen und Therapeuten. Das er­gänzende niedrigschwellige Angebot dient der kurzfristigen fachkundigen psycholo­gischen Unterstützung, der professionel­len Einschätzung des Hilfebedarfs sowie der Überbrückung bis zu probatorischen Therapiesitzungen. Die Gespräche mit dem von der BG Verkehr beauftragten Experten­team erfolgen vertraulich. Die Anrufe sind für die Versicherten kostenlos.

Vermittelt wird auch dieses Angebot über die Trauma-Lotsinnen und Trauma-Lotsen –vorausgesetzt, das Ereignis wurde zuvor bei der BG Verkehr gemeldet. In einem ersten Gespräch mit ihnen und betroffenen Versi­cherten wird gemeinsam geklärt, ob die te­lefonische Beratung ausreichend ist – etwa dann, wenn Betroffene zwar belastet sind, aber zunächst keine reguläre Therapie be­ginnen möchten oder können. Gerade nach schweren oder wiederholten belastenden Si­tuationen kann das neue Angebot eine wich­tige Brücke zur weiteren Versorgung sein.

Schneller Zugang zu Therapie

Bei therapeutischem Bedarf der betroffenen Versicherten begleiten die Lotsinnen und Lot­sen auch den Weg in das DGUV-Psychothera­peutenverfahren – ein spezialisiertes Netzwerk für psychotherapeutische Versorgung nach Ar­beits- oder Wegeunfällen sowie Berufskrank­heiten. „Die beteiligten Therapeutinnen und Therapeuten sichern zu, dass innerhalb von ein bis zwei Wochen ein Erstgespräch möglich ist – ein großer Vorteil gegenüber den langen Wartezeiten in der Regelversorgung“, so Hora. Zunächst werden bis zu fünf Sitzungen bewil­ligt; eine Weiterbehandlung ist bei Bedarf mög­lich. Auch D-Ärztinnen und -Ärzte können eine Überweisung veranlassen. Über eine Online- Suchmaske lässt sich gezielt nach geeigneten Behandelnden in Wohnortnähe suchen.

Dennoch bleibt ein Problem: Viele psychisch belastende Vorfälle werden nicht gemeldet – weder von Betrieben noch von Betroffenen. Dabei sollten Bezirksverwaltungen nicht nur bei Arbeitsunfähigkeit nach Unfallereignissen informiert werden, sondern auch dann, wenn später auffälliges Verhalten beobachtet oder der Wunsch nach Unterstützung geäußert wird. Neben der klassischen Unfallanzeige steht dafür auf der Website der BG Verkehr ein eigenes Meldeformular zur Verfügung.

Im Betrieb frühzeitig reagieren

Die Führungsverantwortlichen im Betrieb spielen eine zentrale Rolle für das Gelingen einer angemessenen und frühzeitigen Betreu­ung der betroffenen Versicherten. Sie sind oft die Ersten, die Warnzeichen wahrnehmen, und können frühzeitig Hilfe initiieren. „Auf­stehen und weitermachen ist eine verbreitete Haltung – aber genau das kann problema­tisch werden, wenn niemand hinschaut“, warnt Aufsichtsperson Frank Lewandowski aus dem Geschäftsbereich Prävention. Er berät Unternehmen auch beim Aufbau eines betrieblichen Notfallmanagements.

Trauma-Lotsen und Notfallmanagement ergän­zen sich: Während das Lotsenverfahren der BG Verkehr auf längerfristige Begleitung zielt, resultiert aus dem Notfallmanagement eine psychologische Erstbetreuung vor Ort direkt nach einem traumatischen Ereignis. Führungs­kräfte, Vertrauenspersonen oder geschulte psychologische Erstbetreuende können Sta­bilität geben, bis weitere Schritte erfolgen.

„Entscheidend ist nicht allein die Schwere des Ereignisses, sondern was danach passiert“, betont Dr. Eva Winkler, Arbeitspsychologin der BG Verkehr. Fehlende soziale Unterstützung und anhaltender Stress zählen zu den größten Risikofaktoren für Traumafolgestörungen. Umso wichtiger sei es, dass Betriebe hinschauen, Verantwortung übernehmen und die bestehen­den Angebote aktiv nutzen.

Auch deshalb rücken zunehmend Berufsgrup­pen in den Fokus, die regelmäßig mit belas­tenden Situationen konfrontiert sind – etwa Zustellkräfte oder Beschäftigte im öffentli­chen Verkehr. „Wer immer wieder Stress oder Übergriffen ausgesetzt ist, reagiert auf ein einzelnes Ereignis oft umso sensibler“, erklärt Annette Schug, Geschäftsführerin der Bezirks­verwaltung Dresden und Projektverantwortli­che für das Thema Trauma und Psyche. Damit sich wiederholte Belastungen nicht verfesti­gen, sei es wichtig, dass Mitgliedsunterneh­men entsprechende Vorfälle melden und ihre Mitarbeitenden frühzeitig unterstützen.

Die Trauma-Lotsinnen und Trauma-Lotsen der BG Verkehr stehen dabei als verlässliche An­laufstelle bereit. Sie koordinieren die nächs­ten Schritte, vermitteln psychologische Hilfe und sorgen dafür, dass niemand mit dem Er­lebten allein bleibt – ein zentraler Baustein für langfristige Stabilität und berufliche Rück­kehr nach Extremsituationen.

Yvonne Müther
BG Verkehr

Steffen Glaubitz
Geschäftsführer der Bezirksverwaltung Berlin