
Auf dem Display tauchen im Millisekundentakt Zahlen auf. Jedes Paket, das im Paketzentrum Ludwigsfelde landet, läuft durch den riesigen Scanner, der blitzschnell Abmessungen, Gewicht und Zielort erfasst. Die Dimensionen dieses 50K-Paketzentrums zu verarbeiten, ist dagegen ganz sicher nicht so leicht. Denn 50K steht für 50.000 Pakete – pro Stunde. Von einem Ende des Gebäudes zum anderen schauen? Fast unmöglich. Durch drei Ebenen hindurch die Decke sehen? Schwierig. Sich orientieren? Erstaunlich einfach.
Sofort nachdem Standortleiter Christian Dräger die Tür zur Sortierhalle geöffnet hat, fallen sechs unterschiedlich farbige Linien auf dem Boden auf. Sie führen zunächst zu einem Tresen, über dem ein großer Bildschirm hängt. Die Beschäftigten schauen, mit welcher Farbe ihr Name dort hinterlegt ist, folgen der Linie auf dem Hallenboden und kommen ohne Umwege dort an, wo sie hinmüssen. Hinter dem Tresen: eine Frau mit freundlichem Lächeln.

Milena Miethling kennt als Hallenkoordinatorin alle, die hier Tag für Tag zum Display hinaufschauen, um zu erfahren, an welcher Endstelle sie heute arbeiten. „Ich kann mir natürlich nicht jeden Namen merken, aber ich kenne alle Gesichter“, sagt Miethling stolz. Ihr Job ist es, die Schichten zu planen und die Aufgaben in den sogenannten Schenkeln zu verteilen. Dazu gehört viel mehr, als nur einen Namen in eine Tabelle einzutragen. Miethling ist seit Eröffnung des Paketzentrums in Ludwigsfelde und weiß genau, wer an welcher Stelle gern und gut arbeitet. „Das heißt: zuhören und hinschauen – und es sich merken“, sagt sie. „Natürlich geht es bei uns am Ende um eine gute Produktivität und effizientes Arbeiten. Aber das funktioniert nur, wenn wir auf unsere Beschäftigten eingehen“, fügt Standortleiter Dräger hinzu.
Vor ziemlich genau drei Jahren, im Juni 2022, startete der Betrieb in diesem Paketzentrum, das eines der drei größten DHL-Zentren in Deutschland ist. Zuvor befand sich hier neben der Bahntrasse zwischen Berlin und dem Süden der Republik sowie in Sichtweite zum Mercedes-Benz-Werk – nichts. „Die Planung auf der grünen Wiese hatte den großen Vorteil dass wir hier viel mit Blick auf die Zukunft umsetzen konnten“, sagt Christian Dräger, während Eberhard Brunck neben ihm zustimmend nickt. Als Aufsichtsperson bei der BG Verkehr ist Brunck in der Planungs- und Bauphase ein wichtiger Ansprechpartner für Fragen des Arbeitsschutzes gewesen. Entstanden ist ein Standort mit Vorbildcharakter.

Leicht verständliches Leitsystem
Wegweisend im Wortsinn sind beispielsweise die farbigen Linien. Von der Eingangstür bis zum letzten Arbeitsplatz rund 500 Meter entfernt leiten sie die Beschäftigten durch die Sortierhalle bis in die beiden sogenannten Schenkel des u-förmig aufgebauten Paketzentrums.
Die Idee ist nicht neu, aber in dieser Form bei der DHL erstmals in Ludwigsfelde umgesetzt worden. Nach der erfolgreichen Testphase hat sich das Prinzip in allen anderen Paketzentren etabliert. Die Farben sind – im Gegensatz zu Schildern mit Text – ohne Sprachkenntnisse leicht verständlich. Menschen mit einer Farbsehschwäche können sie klar unterscheiden. Selbst aus dem Augenwinkel lassen sie sich eindeutig wahrnehmen. „Bei den Dimensionen des Paketzentrums sind die Wege von und zum Arbeitsplatz entsprechend lang – und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass bei Unachtsamkeit unterwegs etwas passiert“, sagt Dräger, der in der Corona-Pandemie vom nahe gelegenen Nutzfahrzeugwerk zur DHL wechselte. Mit seinem Fachwissen begleitete er den Aufbau des Paketzentrums, übernahm zunächst die Leitung der Technik und dann die Standortleitung. Viele seiner rund 450 Beschäftigten sind seit Eröffnung neu eingestellt worden.
Andere wiederum sind schon lange bei der DHL – wie Abdelaziz Shahin, der gerade am Empfangstresen vorbei in Richtung Pausenraum geht. Vor dreizehn Jahren begann er als Zusteller, qualifizierte sich immer weiter, übernahm die Schulung und Ausbildung anderer Zustellerinnen und Zusteller, bis er die Möglichkeit bekam, in Ludwigsfelde als Aufsicht anzufangen. Heute ist er für die Koordination der Abläufe im rechten Schenkel verantwortlich und freut sich über gut planbare Arbeitszeiten, von denen sein Familienleben enorm profitiert.

„Ich repariere die Rollbehälter“
Hunderttausende Rollbehälter sind bei der DHL im Einsatz. Sie vertragen eine Zuladung von 500 Kilogramm und sind von der Filiale über das Paketzentrum bis hin zum gewerblichen Kunden unterwegs. Und mindestens einer davon steht immer bei Arno Benz in der Werkstatt: „Der raue Umgang hinterlässt Mängel, die wir hier beheben. Zum Beispiel defekte Rollen oder gerissene Gurte, verschlissene Lager oder verbogene Rahmenteile. Wir haben alle Ersatzteile auf Lager. Eine riesige Entlastung ist die hydraulisch betätigte Vorrichtung, mit der wir die Behälter ohne Kraftaufwand in alle Richtungen drehen, anheben und senken können. So kann ich beim Arbeiten aufrecht stehen, egal an welche Stelle ich ranmuss.“
In acht Minuten durchs Paketzentrum
Eine Aufsicht kümmert sich unter anderem darum, dass an den Entlademodulen alles reibungslos abläuft. Damit sind die Eingangsförderbänder gemeint. Sie befinden sich in dem Gebäudeteil, der die beiden Schenkel der Anlage miteinander verbindet. Wer der blauen Linie folgt, kommt genau hier an. Wenn die vollgeladenen Wechselbehälter an den Toren andocken, beginnt der Job für die Entladerinnen und Entlader. Bevor die Technik des Paketzentrums übernimmt, leisten sie jeden Tag einen unverzichtbaren Bestandteil am Erfolg: Jedes einzelne Paket geht durch ihre Hände. Aus den Wechselbehältern legen die Beschäftigten sie auf das Förderband. Befinden sich bepackte Rollbehälter in den Wechselbehältern, müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sie zunächst herausziehen und dann jeden Rollbehälter einzeln entladen. Dabei achten sie darauf, ob sie an den häufig sehr stark belasteten Behältern Mängel entdecken. Solche Behälter werden gleich aussortiert und landen in der hauseigenen Werkstatt (siehe Kasten).
Eine Ebene weiter oben, in 3,5 Meter Höhe, laufen die Pakete von den Entlademodulen in den Sorter. Dann geht es durch den Sechsseitenscanner, der die exakten Abmessungen, das genaue Gewicht und das Ziel des Pakets an den Materialflussrechner weitergibt. Der wiederum berechnet den idealen Weg des Versandstücks durch die Halle. Ist an der Ziel-Endstelle genug Platz, wählt das System den direkten Weg. Stauen sich dort die Pakete, dreht das Paket eine Extrarunde durch die Halle. Zwischen fünf und acht Minuten dauert die Reise in der Anlage. An einzelnen Kontrollstellen laufen die Pakete erneut durch Scanner, um die Routenplanung so exakt wie möglich zu machen. Hier oben sind nur wenige Beschäftigte unterwegs. Falls ein Paket hängen bleibt, gefährdet das den gesamten Ablauf. Deshalb sind die Entstörteams unverzichtbar. Der Leitstand Technik ruft sie per Funk, wenn sich etwas verkantet hat oder anderweitig für Störungen sorgt. Denn die Technik kann die hohe Sortierleistung nur bringen, wenn die Beschäftigten bei Problemen schnell reagieren.

„Ich fahre die Wechselbehälter“
Wechselbehälter haben eine Schlüsselrolle beim Transport der Pakete ins Zentrum und wieder hinaus. Das Auf- und Absatteln direkt am Ladetor ist für Fahrerinnen und Fahrer gefährlich. Deswegen übernehmen Umsetzfahrzeuge diesen Job auf dem Betriebsgelände. Daniel Schmuckat fährt einen davon. „In meinem Auftrag steht, welcher Behälter von welchem Platz zu welchem Ladetor soll oder umgekehrt. Ich kann die Wechselbehälter per Knopfdruck anheben, muss keine Stützen ein-oder ausklappen und bin in wenigen Minuten schon wieder auf dem Weg zum nächsten Job.“
Ein weiteres Beispiel für die sorgfältige Neuplanung des Zentrums zeigt sich auf der dritten Ebene. Sieben Meter über dem Hallenboden sind neben den Entstörerinnen und Entstörern noch die Techniker unterwegs, die immer dann eingreifen, wenn die Laufbänder, die Rollen oder andere Steuerungsteile nicht mehr wie geplant funktionieren. Im Gegensatz zu Paketzentren mit älterer Technik gibt es hier Schnelllaufwege, auf denen die Beschäftigten schnell zu den einzelnen Stellen gelangen können, anstatt immer über mehrere Förderbänder hinwegsteigen zu müssen. „Diese Wege minimieren die Unfallgefahr, die sonst beim häufigen Treppensteigen besteht – besonders wenn man es eilig an“, sagt Dräger. „Und sie verkürzen die Wegezeit, sodass wir hier im Gegensatz zu deutlich kleineren Paketzentren nur ein Drittel an Entstörungskräften brauchen.“
Dem Lauf der Förderbänder folgend und am Ende einer Paketrutsche wartet das nächste Förderband auf die Pakete. Wie beim Entladen eines Wechselbehälters ist auch dieses Förderband teleskopierbar, damit der Weg zur Beladestelle so kurz wie möglich ist. An insgesamt 288 Toren stehen Wechselbehälter und werden entweder be- oder entladen – in drei Schichten und an sechs Tagen die Woche. Auf dem Außengelände dürfen nur DHL-eigene Umsetzfahrzeuge die Wechselbehälter an die Tore bringen. Die Lkw-Fahrerinnen und -Fahrer stellen die Wechselbehälter auf eigens ausgewiesenen Übergabeplätzen ab und übernehmen sie dort auch wieder.
Die Leitstellen haben alles im Blick
Die Verkehrssteuerung erfolgt über die Hofleitung. Von hier haben die Schichtleiter alle Ladetore sowie die Ein- und Ausfahrt im Blick. Sie übernehmen nicht nur die Koordination der ankommenden Lkw, sondern auch die Verteilung der Aufträge an die Umsetzfahrzeuge. Im Raum nebenan hängen weitere Bildschirme an der Wand, diesmal mit Blick ins Innere der Halle. Hier sitzt Mirco Miethling. Der Schichtleiter Technik ist gelernter Fluggerätemechaniker. Vor drei Jahren fing er als Hallentechniker in Ludwigsfelde an. Heute kontrolliert er die Abläufe, beauftragt und steuert die Reparatur- und Entstörteams. Außerdem hat er den Materialflussrechner stets vor Augen. Miethling, der Name klingt doch bekannt? „Milena ist meine Frau“, sagt Miethling und lächelt. Beide haben völlig unterschiedliche Jobs – den guten Überblick über ein faszinierendes System allerdings haben sie gemeinsam.
Moritz Heitmann
Redaktion SicherheitsProfi