Finger drückt die elektronische Feststellbremse
© iStock (Kittporn Sakchampha)

Sechs Wochen lang bestand noch Hoffnung. Dann erlag der Paketzusteller seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus. Sein eigenes Fahrzeug hatte ihn überrollt. Nur kurze Zeit später starb eine Fahrerin, weil sie zwischen ihrem Fahrzeug und einem Baum eingequetscht worden war. Bei Paket- und Briefdienstleistern sind Unfälle mit wegrollenden Fahrzeugen typisch. Eberhard Brunck ist Fachreferent für Kurier-, Express- und Postdienste bei der BG Verkehr. Er und die anderen Aufsichtspersonen untersuchen jedes Jahr zahlreiche solcher Unfälle. „Immer wieder gibt es Fälle, die tödlich für die Beschäftigten enden. Mitunter starben unbeteiligte Dritte.“

Klar ist: Fahrzeuge rollen nicht „einfach so“ los. Die Hauptgründe sind technische Mängel und menschliche Nachlässigkeit. Um sich einen gefühlten zeitlichen Vorteil zu verschaffen, verzichten einige Fahrerinnen und Fahrer darauf, die Zündung oder den Motor abzustellen und sichern das Fahrzeug in vermeintlich ebenem Gelände nur durch das Betätigen der Feststellbremse. Wird dies jedoch nicht mit der gebotenen Sorgfalt ausgeführt oder gar vergessen, dann rollt das Fahrzeug schon durch einen kleinen Impuls ausgelöst, bei geringstem Gefälle selbstständig los. Für nur wenige Sekunden Zeitersparnis setzen sie so ihr Leben aus Spiel.

Setzt sich das Fahrzeug erst einmal selbstständig in Bewegung, dann ist es zu spät für korrigierende Handlungen. Häufig führt dann eine reflexhafte  Reaktion in die Katastrophe: „Jeder Versuch, ein rollendes Fahrzeug wieder zu stoppen, ist zwecklos und hochgefährlich“, warnt Brunck. „Niemand hat eine Chance gegen einen tonnenschweren Transporter.“ Dann hilft nur noch, sich selbst in Sicherheit zu bringen und andere zu warnen.

Technische Möglichkeiten nutzen

Bei Zeitdruck und über 100 Stopps pro Tour steigt die Gefahr, die Bremse irgendwann einmal zu vergessen oder sie zu zaghaft anzuziehen. Hier kann die Technik helfen – auch wenn sich niemand vollständig darauf verlassen sollte. „Die automatische Feststellbremse ist eine sehr effektive technische Maßnahme“, sagt Brunck. Diese aktiviert sich automatisch beim Verlassen des Fahrzeugs zum Beispiel über eine Sitzbelegungserkennung. Bis sie flächendeckend (und im Idealfall serienmäßig) verbaut ist, wird noch einige Zeit vergehen. Umso wichtiger ist für die Beschäftigten deshalb, dass die Erinnerung an die Feststellbremse in Fleisch und Blut übergeht – egal ob sie per Hand, mit dem Fuß oder automatisch eingelegt wird. 

Abfahrkontrolle

Aber die Feststellbremse muss funktionieren. Deshalb beginnt jeder Arbeitstag mit der Abfahrtkontrolle: Funktioniert alles? Wann rastet die Handbremse ein? Gibt es Mängel, die gemeldet werden müssen? „Die mechanischen Handbremsen sind in der Großserientechnik nicht immer für den harten Einsatz bei der Zustellung ausgelegt und verschleißen deutlich schneller“, sagt Eberhard Brunck. Und dann rollt das Fahrzeug los, auch wenn der Handbremshebel betätigt wurde. Als Faustregel gilt: Bei einem Drittel, spätestens aber nach der Hälfte des Brems-hebelwegs muss die volle Bremswirkung vorhanden sein. 

„Bei einigen Unfalluntersuchungen erreichte die Bremse erst nach Dreiviertel überhaupt eine Bremswirkung – das ist ein gravierender Mangel.“ Brunck appelliert deshalb an alle Beschäftigten, Mängel nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, auch wenn sie eine Meldung häufig scheuen, um ihr bekanntes Fahrzeug nicht tauschen zu müssen: „Dabei sollte aber nicht vergessen werden, dass Verantwortliche die Meldungen regelmäßig auswerten, um bei Häufungen oder erkennbaren Mustern schnell zu reagieren und etwa Wartungspläne anzupassen.“

Moritz Heitmann
Redaktion SicherheitsProfi