
An Bord von zwei Schiffen unter deutscher Flagge ereigneten sich 2024 innerhalb weniger Wochen zwei Arbeitsunfälle, die nahezu den gleichen Unfallhergang hatten. Die Betroffenen wollten bei der Wartung der Klimaanlage die Spannung des Riemens prüfen. Dazu entfernten sie die Schutzabdeckung des Riemenantriebs für den Hauptlüfter. Zusätzlich trugen sie Riemenspray aus einer Sprühdose auf. Im Grunde eine ungefährliche Routinearbeit, wie sie an Bord vieler Schiffe durchgeführt wird – so könnte man meinen. Beide Seeleute drehten die Riemenscheibe von Hand weiter. Ergebnis: Ihre Hand wurde zwischen Riemen und Riemenscheibe eingezogen und dabei wurden die Finger schwer verletzt. Die Untersuchung beider Unfälle ergab, dass die Maßnahmen gegen bestehende Einzugsgefährdungen nicht ausreichten.
Reedereien reagieren
Die Reedereien veranlassten eine Reihe von Maßnahmen, um ähnliche Unfälle in Zukunft zu verhindern:
- Rundschreiben zur Sensibilisierung innerhalb der Flotte,
- anlassbezogene Unterweisung sowie
- Anpassung der Schutzmaßnahmen, unter anderem
- stromlos Schalten der Klimaanlage und zeitweises Festsetzen der beweglichen Teile (zum Beispiel durch Verkeilen des Riemens an den Antriebsrädern),
- Überprüfung, ob Wartungsarbeiten mit vorhandener (Teil-)Abdeckung durchgeführt werden können (das Riemenspray lässt sich nach der Prüfung auf Spannung gegebenenfalls auch mit angelegter Schutzabdeckung auftragen), sowie
- Verwendung von Werkzeugen, mit denen das Hineingreifen in die Anlage nicht erforderlich ist (zum Beispiel Aufsteckkurbel am Antriebsrad um den Antrieb nicht mit der Hand weiterdrehen zu müssen).
Sichere Arbeitsverfahren festlegen
Die geschilderten Unfälle sind keine seltene Ausnahme. Daher sollten alle, die für ein funktionierendes Arbeitsschutzsystem verantwortlich sind, noch einmal genauer hinschauen:
- Ist die Gefährdungsbeurteilung für die Arbeitsverfahren an Bord aktuell?
- Entsprechen die Maßnahmen dem Stand der Technik?
- Sind technische Lösungen umsetzbar, sind organisatorische oder persönliche Maßnahmen erforderlich?
- Liegt eine adäquate Betriebsanweisung vor?
- Haben die Beschäftigten zu dem Arbeitsverfahren eine Unterweisung erhalten?
- Sind die Betriebsanleitungen für Anlagen und Maschinen vorhanden? In der Regel beschreiben die Hersteller darin, wie Wartungs-und Instandsetzungsarbeiten sicher durchgeführt werden.
Team einbinden
In der Seeschifffahrt haben sich sogenannte Toolbox-Talks als gute Praxis zur Auffrischung von Sicherheitsthemen bewährt. Im Rahmen dieser Kurzgespräche prüft das Team vor Beginn der Arbeit, ob die vorgesehenen Verfahren unverändert angewendet werden können. Oft müssen zusätzlich besondere Faktoren, die sich aus der Arbeitsumgebung oder aus der Situation ergeben, im Vorgespräch berücksichtigt werden. Die Wetterlage etwa betrachtet man immer zum jeweiligen Zeitpunkt vor Ort.
Typische Fragen im Kurzgespräch sind zum Beispiel: Sind die richtigen Werkzeuge vorhanden und in gutem Zustand? Ist die per sönliche Schutzausrüstung geprüft und einwandfrei? Unverzichtbar ist außerdem die Frage an alle Beteiligten, ob sie sich fit fühlen und der Aufgabe gewachsen sind. Im Zweifelsfall verschiebt man lieber eine Wartung, als später aufwendig einen größeren Schaden zu beheben oder sogar Unfälle in Kauf zu nehmen.
Schutzabdeckung nur in Ausnahmefällen öffnen
Nur wenn eine bestimmte Arbeit bei installierter Abdeckung nicht möglich ist, darf die Schutzabdeckung entfernt werden. Spezielle Werkzeuge wie Aufsteckkurbeln oder Spezialschlüssel reduzieren das Risiko mitunter erheblich. Bei der Arbeit an rotierenden Teilen dürfen keine Schutzhandschuhe getragen werden. Nicht nur die Hände, sondern auch lange Haare oder Bärte laufen Gefahr, in Maschinen oder drehende Teile eingezogen zu werden. Schmuck, besonders Fingerringe oder Halsketten, muss entweder abgelegt oder so gesichert werden, dass keine weiteren Gefährdungen entstehen.
Nachrüstungen können die Sicherheit bei Wartungsarbeiten deutlich verbessern (natürlich nur, wenn sie den Vorgaben der Hersteller entsprechen). Die Fachkraft für Arbeitssicherheit ist hier bei Fragen die erste Adresse.
Vorsicht bei beweglichen Teilen
Geraten Teile von Maschinen und Anlagen während der Wartung plötzlich in Bewegung, bedeutet dies immer eine Gefährdung der arbeitenden Personen. Die Bewegung entsteht entweder absichtlich, zum Beispiel durch Inbetriebnahme der Anlage, oder unbeabsichtigt durch Kraft bzw. Energie, die von außen in das System eingebracht wird. Eine einfache Gegenmaßnahme ist das Festsetzen der Riemen, Zahnräder, Wellen, Lüfter und der anderen beweglichen Teile. Dazu eignen sich zum Beispiel Keile, Sicherungsstifte oder -bolzen oder die speziell für die Systeme verfügbaren Sicherungen. Bitte beachten: Jede Anlage ist anders. Selbst auf baugleichen Schiffen kann es vorkommen, dass unterschiedliche Systeme im Einsatz sind.
Übrigens …
... die Betrachtung des aktuellen Unfallgeschehens sowie mögliche Gegenmaßnahmen sind ein wesentlicher Bestandteil des BG Verkehr-Fachseminars „Sicheres und gesundes Arbeiten in Seeschifffahrt und Fischerei“. In diesem Seminar werden typische Probleme und gute Lösungen aus der Praxis diskutiert. Fachleute aus dem Reedereibetrieb sowie aktives Bordpersonal sind herzlich willkommen.
Ungewolltes Einschalten verhindern
Gegen das Wiedereinschalten einer Anlage während der Wartung helfen besondere Verfahren. Relativ bekannt ist eine Arbeits-oder Befahrerlaubnis (PTW – Permit to Work), zu der bestimmte Maßnahmen gehören. Wie lässt sich zum Beispiel bei Arbeiten an der Feuerlöschpumpe zuverlässig verhindern, dass sie sich plötzlich wieder einschaltet? Die Stromzufuhr kann man unterbrechen, indem man den Versorgungsschalter betätigt. Dieser Schalter sollte anschließend nicht nur gekennzeichnet, sondern am besten physisch blockiert werden. Dazu reicht ein Vorhängeschloss oder ein sogenanntes Lockout-Tagout-System. Es verhindert, dass ein Schalter oder Ventil spontan betätigt wird. Bewährt hat sich außerdem, dass die Person, die der Gefahr ausgesetzt ist, den Schlüssel während der Arbeit bei sich trägt.
Alexander Engel
Referat Seeschifffahrt und Fischerei der BG Verkehr
Weiterführende Informationen
„Sicheres und gesundes Arbeiten in Seeschifffahrt und Fischerei“
Anmeldung zum Seminar der BG Verkehr
Handbuch See
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(Das Handbuch See wird zurzeit überarbeitet und steht nur zum Download zur Verfügung.)
Qualifizierung & Beauftragung
DGUV Grundsatz 308-001
Bewegliche Antriebsteile
Sicherheitsbulletin 01-2024 der Deutschen Flagge